Helmut Wicht
2023-07-11 11:33:27 UTC
Na, probier‘ ich’s doch noch mal. Im alten Schwurbel-Stil.
Vor zwei Monaten hat mir ein Kumpel eine 1000er Laverda Iota auf die Hebebühne gestellt. Das heisst, nein, wir haben sie _gemeinsam_ draufgewuchtet. Die Hebebühne ist von Louis, letztendlich, so vermute ich, stammt sie aus China. Die haben dort, was man ihnen nicht übelnehmen kann, keine Ahnung von griechischer Mythologie, ich aber schon, weswegen mir die Laverda vorkam, wie die metallgewordende Inkarnation des Stieres, in den sich der Gott Zeus verwandelte, als er, die schöne Europa auf seinem Rücken tragend, von Kleinasien nach Kreta schwamm. Ein Mordsviech, ein Ungeheuer. Europa, die holde Jungfer, war leider nicht mehr dabei. Nur das laverdische, stierige Untier.
Auf meiner spillerigen, chinesischen Hebebühne. Zeus, so heisst es in dem Mythos weiter, trug Europen in den Schatten der Platane von Gortyna auf Kreta (die Platane gibt’s noch, ich war schon dort), allwo er sie mit allerlei Zärtlickeiten überschüttete, in deren Folge die Herren Minos, Sarpedon und Rhadamanthys in’s Dasein gelangten. Auf meiner Hebebühne hätten derlei Begattungsaktivitäten wahrscheinlich noch katastrophalere Folgen, und eingedenk der Tatsache, dass der Herr Rhadamanthys immerhin später der Totenrichter im Hades wurde, in den ich garantiert hinabführe, sollte der laverdische Zeus/Stier im Schwunge seines Tuns von meiner Hebebühne hinab auf mich stürzen, hab‘ ich die Laverda mit jeden Zurrgurt, der mir zur Hand war, auf der Bühne festgeschnallt, bevor ich sie zu heben begann.
Irgendwelche Aktivitäten waren der Laverda aber eigentlich ganz fremd, denn ihr fehlte das Zentralnervensystem. Sie sollte nämlich einen neuen Kabelbaum bekommen. Fast gänzlich nackend war sie, die Trümmer des alten Kabelbaumes, mit einem Seitenschneider entfernt, lagen – dem Schlangenhaupt der Medusa nicht unähnlich, aber das ist ein anderes Stück Mythologie – drohlich verschlungen und verworren, einem gordischen Knoten gleich (schon wieder ein griechischer Mythos) in einem Pappkarton.
Elektrik aber fürchte ich nicht. Zumindest nicht die alte, analoge. „Blau ist braun und Plus ist Minus“ – mit diesem Motto auf den Lippen und mit entsprechender Zuversicht habe ich schon einige Kabelbäume „from scratch“ neu gebaut, und alle haben funktioniert, nachdem ich jeweils Farben und Pole sortiert bekommen hatte.
Dennoch wanderte mein Blick besorgt von gefesselten Ungeheuer auf der Hebebühne zu der kachektischen NSU OSL und zu der gertenschlanken Gilera Saturno, eben den beiden alten Krädchen, mir denen ich mich in den letzten Jahren schraubend und fahrend beschäftigt habe – und, Blick zurück: es kam mir die Laverda noch gewaltiger vor. Zeus, der Chefgott, persönlich auf der Hebebühne.
Dann kam mein Zahnarzt auf einen Sprung vorbei. Der verdient zu viel Geld (zum Glück nicht von mir) und kauft sich alle naselang ein neues, modernes Motorrad. Und kam – mit seiner neuen Honda Valkyrie, und zwar in dieser extra-bizarren, monströsen „Rune“-Ausführung. Walküren und Runenschrift: da begriff ich, dass die nordische Mythologie noch viel ungeheuere Ungeheuer als die griechische zu bieten hat. Siegfried, so dachte ich, muss ein _sehr_ tapferer Mann gewesen sein, als er sich dazu hinreissen liess, sich in die Arme einer dieser Walküren (Brünhilde eben) zu stürzen.
Mein Zahnarzt hat mir dann gestattet, mit der Walküre „einmal um den Block“ zu fahren. Es sind dann zwei Blocks geworden, weil ich gleich so unvorsichtig war, den Gashahn im zweiten Gang ein wenig weiter aufzudrehen, weswegen ich über die Kreuzung des ersten Blockes einfach hinwegflog und den Rest des zweiten brauchte, um die Kiste wieder einzufangen. Geht nichts über eine ruhige, wenig befahrene Wohngegend mit quadratischer Strassenanlage.
Nach dem Walkürenritt blickte ich – nordisch-mythologisch gestählt – mit männlicher, heldischer Zuversicht auf das gefesselte Stierchen auf der Hebebühne und machte mich an dessen Elektrik.
Der Stier – so wollte es der Besitzer – sollte Ochsenaugen bekommen. Das klingt zwar falsch, sieht aber nett aus. Also hab‘ ich den Lenker mit den Plus-Leitungen innenverkabelt und Ochsenaugen (Hella, gibt es noch, sauteuer) montiert. Die Laverda hat aber nur eine Blinkerkontrollleuchte (im Drehzahlmesser). Da müsst‘ man entweder noch zwei Masse-Strippen für die Kontrollampe durch den Lenker ziehen (so dass die sich die Lampe ihre Masse vom jeweils inaktiven Blinker holt), wahlweise kann man die Schaltung auch mit zwei fipsigen Dioden in den beiden Kabeln, die den getakteten (rechts/links) Binkerstrom zu der Kontrollleuchte führen, realisieren. Letzteres spart Strippen, und Lenkerinnenverkabelungen sind ohnehin eklig zu machen. Also zwei Dioden, naja, sagen wir mal: 50 oder 100 Volt, 3 Ampere.
Massenware. Ein paar Cent pro Stück. Aber seit der Conrad seine Filiale in Frankfurt dicht gemacht hat, gibt es hier gar keinen Laden mehr, in dem man elektronsiche Bauteile über den Tresen bekommt. Das Internet ist freilich voll von Dioden: Kaufpreis 10 Cent, Versandkosten 10 Euro. Oder zumindest nahe dran. Das war mir aus Prinzip zu doof.
In Frankfurt-Schwanheim aber, wo ich neuerdings wohne (mit den netten, quadratischen Strassenplan, s.o.) gibt es, nur drei Strassen weiter, tatsächlich noch so einen Elektrogeräte-Kleinkrauter-Laden, und die Einheimischen sagten mir, dass der früher sogar Reparaturen von Fernsehern und ähnlichem gemacht habe. Also nix wie hin.
„Dioden? Einzeln? Nee!“, sagte der Junior in dem Laden, „so’n Bastelkram hat der Opa damals gemacht, Werkstatt und Kleinteilelager sind schon lange nicht mehr …“
Ich: „Ach …“
Er: „Aber ich kann Ihnen eine alte Platine aus’m Fernseher schenken, da sind so Dinger drauf.“
Mein Dank wird ihm ewig nachschleichen. Auf der ollen Platine sind vermutlich sämtliche elektronischen Kleinbauteile, die ich für den Rest meines Lebens je brauchen werde. Zwei Dioden ausgelötet, in die Blinkerkabel gefrickelt (einstecken / Schrumpfschlauch, Durchmesser passte haargenau zu den Kabeln) - Kontrollleuchte kontrollleuchtet.
Der Rest der Elektrik funktioniert auch. Ob aber der Ladestrom- und Zündstromkreis auch ok sind, das wissen wir noch nicht: sie läuft nämlich noch nicht. Es fehlen noch so Kleinigkeiten wie die Auspuffanlage, der Ölkühler, die Bremsen, Antriebskette und Fussrasten – das will der Besitzer jetzt erstmal auf seiner Hebebühne komplettieren. Er wohnt (wirklich schön, so ein quadratischer, überschaubarer Strassenplan) 6 Blocks weiter, Steigungen gibt es auch keine, da schieben wir die Laverda durch’s stille Schwanheim.
Ganz am Schluss will ich sie aber auch mal fahren. Den Stier bei den Hörnern (mit den Ochsenaugen …) packen. Ich bin nämlich noch nie Laverda gefahren.
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h_wicht
Vor zwei Monaten hat mir ein Kumpel eine 1000er Laverda Iota auf die Hebebühne gestellt. Das heisst, nein, wir haben sie _gemeinsam_ draufgewuchtet. Die Hebebühne ist von Louis, letztendlich, so vermute ich, stammt sie aus China. Die haben dort, was man ihnen nicht übelnehmen kann, keine Ahnung von griechischer Mythologie, ich aber schon, weswegen mir die Laverda vorkam, wie die metallgewordende Inkarnation des Stieres, in den sich der Gott Zeus verwandelte, als er, die schöne Europa auf seinem Rücken tragend, von Kleinasien nach Kreta schwamm. Ein Mordsviech, ein Ungeheuer. Europa, die holde Jungfer, war leider nicht mehr dabei. Nur das laverdische, stierige Untier.
Auf meiner spillerigen, chinesischen Hebebühne. Zeus, so heisst es in dem Mythos weiter, trug Europen in den Schatten der Platane von Gortyna auf Kreta (die Platane gibt’s noch, ich war schon dort), allwo er sie mit allerlei Zärtlickeiten überschüttete, in deren Folge die Herren Minos, Sarpedon und Rhadamanthys in’s Dasein gelangten. Auf meiner Hebebühne hätten derlei Begattungsaktivitäten wahrscheinlich noch katastrophalere Folgen, und eingedenk der Tatsache, dass der Herr Rhadamanthys immerhin später der Totenrichter im Hades wurde, in den ich garantiert hinabführe, sollte der laverdische Zeus/Stier im Schwunge seines Tuns von meiner Hebebühne hinab auf mich stürzen, hab‘ ich die Laverda mit jeden Zurrgurt, der mir zur Hand war, auf der Bühne festgeschnallt, bevor ich sie zu heben begann.
Irgendwelche Aktivitäten waren der Laverda aber eigentlich ganz fremd, denn ihr fehlte das Zentralnervensystem. Sie sollte nämlich einen neuen Kabelbaum bekommen. Fast gänzlich nackend war sie, die Trümmer des alten Kabelbaumes, mit einem Seitenschneider entfernt, lagen – dem Schlangenhaupt der Medusa nicht unähnlich, aber das ist ein anderes Stück Mythologie – drohlich verschlungen und verworren, einem gordischen Knoten gleich (schon wieder ein griechischer Mythos) in einem Pappkarton.
Elektrik aber fürchte ich nicht. Zumindest nicht die alte, analoge. „Blau ist braun und Plus ist Minus“ – mit diesem Motto auf den Lippen und mit entsprechender Zuversicht habe ich schon einige Kabelbäume „from scratch“ neu gebaut, und alle haben funktioniert, nachdem ich jeweils Farben und Pole sortiert bekommen hatte.
Dennoch wanderte mein Blick besorgt von gefesselten Ungeheuer auf der Hebebühne zu der kachektischen NSU OSL und zu der gertenschlanken Gilera Saturno, eben den beiden alten Krädchen, mir denen ich mich in den letzten Jahren schraubend und fahrend beschäftigt habe – und, Blick zurück: es kam mir die Laverda noch gewaltiger vor. Zeus, der Chefgott, persönlich auf der Hebebühne.
Dann kam mein Zahnarzt auf einen Sprung vorbei. Der verdient zu viel Geld (zum Glück nicht von mir) und kauft sich alle naselang ein neues, modernes Motorrad. Und kam – mit seiner neuen Honda Valkyrie, und zwar in dieser extra-bizarren, monströsen „Rune“-Ausführung. Walküren und Runenschrift: da begriff ich, dass die nordische Mythologie noch viel ungeheuere Ungeheuer als die griechische zu bieten hat. Siegfried, so dachte ich, muss ein _sehr_ tapferer Mann gewesen sein, als er sich dazu hinreissen liess, sich in die Arme einer dieser Walküren (Brünhilde eben) zu stürzen.
Mein Zahnarzt hat mir dann gestattet, mit der Walküre „einmal um den Block“ zu fahren. Es sind dann zwei Blocks geworden, weil ich gleich so unvorsichtig war, den Gashahn im zweiten Gang ein wenig weiter aufzudrehen, weswegen ich über die Kreuzung des ersten Blockes einfach hinwegflog und den Rest des zweiten brauchte, um die Kiste wieder einzufangen. Geht nichts über eine ruhige, wenig befahrene Wohngegend mit quadratischer Strassenanlage.
Nach dem Walkürenritt blickte ich – nordisch-mythologisch gestählt – mit männlicher, heldischer Zuversicht auf das gefesselte Stierchen auf der Hebebühne und machte mich an dessen Elektrik.
Der Stier – so wollte es der Besitzer – sollte Ochsenaugen bekommen. Das klingt zwar falsch, sieht aber nett aus. Also hab‘ ich den Lenker mit den Plus-Leitungen innenverkabelt und Ochsenaugen (Hella, gibt es noch, sauteuer) montiert. Die Laverda hat aber nur eine Blinkerkontrollleuchte (im Drehzahlmesser). Da müsst‘ man entweder noch zwei Masse-Strippen für die Kontrollampe durch den Lenker ziehen (so dass die sich die Lampe ihre Masse vom jeweils inaktiven Blinker holt), wahlweise kann man die Schaltung auch mit zwei fipsigen Dioden in den beiden Kabeln, die den getakteten (rechts/links) Binkerstrom zu der Kontrollleuchte führen, realisieren. Letzteres spart Strippen, und Lenkerinnenverkabelungen sind ohnehin eklig zu machen. Also zwei Dioden, naja, sagen wir mal: 50 oder 100 Volt, 3 Ampere.
Massenware. Ein paar Cent pro Stück. Aber seit der Conrad seine Filiale in Frankfurt dicht gemacht hat, gibt es hier gar keinen Laden mehr, in dem man elektronsiche Bauteile über den Tresen bekommt. Das Internet ist freilich voll von Dioden: Kaufpreis 10 Cent, Versandkosten 10 Euro. Oder zumindest nahe dran. Das war mir aus Prinzip zu doof.
In Frankfurt-Schwanheim aber, wo ich neuerdings wohne (mit den netten, quadratischen Strassenplan, s.o.) gibt es, nur drei Strassen weiter, tatsächlich noch so einen Elektrogeräte-Kleinkrauter-Laden, und die Einheimischen sagten mir, dass der früher sogar Reparaturen von Fernsehern und ähnlichem gemacht habe. Also nix wie hin.
„Dioden? Einzeln? Nee!“, sagte der Junior in dem Laden, „so’n Bastelkram hat der Opa damals gemacht, Werkstatt und Kleinteilelager sind schon lange nicht mehr …“
Ich: „Ach …“
Er: „Aber ich kann Ihnen eine alte Platine aus’m Fernseher schenken, da sind so Dinger drauf.“
Mein Dank wird ihm ewig nachschleichen. Auf der ollen Platine sind vermutlich sämtliche elektronischen Kleinbauteile, die ich für den Rest meines Lebens je brauchen werde. Zwei Dioden ausgelötet, in die Blinkerkabel gefrickelt (einstecken / Schrumpfschlauch, Durchmesser passte haargenau zu den Kabeln) - Kontrollleuchte kontrollleuchtet.
Der Rest der Elektrik funktioniert auch. Ob aber der Ladestrom- und Zündstromkreis auch ok sind, das wissen wir noch nicht: sie läuft nämlich noch nicht. Es fehlen noch so Kleinigkeiten wie die Auspuffanlage, der Ölkühler, die Bremsen, Antriebskette und Fussrasten – das will der Besitzer jetzt erstmal auf seiner Hebebühne komplettieren. Er wohnt (wirklich schön, so ein quadratischer, überschaubarer Strassenplan) 6 Blocks weiter, Steigungen gibt es auch keine, da schieben wir die Laverda durch’s stille Schwanheim.
Ganz am Schluss will ich sie aber auch mal fahren. Den Stier bei den Hörnern (mit den Ochsenaugen …) packen. Ich bin nämlich noch nie Laverda gefahren.
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h_wicht