Post by T.ja, unbedingt bitte, am besten mit Harley, Duc und anderen legalen und
illegalen Krachtüten, damit ein solches Fahrverbot ganz sicher kommt.
[...] es sind leider nicht ein paar Ausnahmen die den Krach fabrizieren
sondern, sondern eine Mehrheit, zumal es fast keine benzien-betriebenen
leisen Moppeds mehr zu kaufen gibt :-(
Wie recht du hast, auf der Demo letztes Jahr in Frankfurt fuhr 3m schräg
vor mir eine Karre eines bekannten Herstellers mit verchromten
Abwasserrohren statt eines Schalldämpfers.
Immer diese Feindbilder.
https://www.heise.de/meinung/Klartext-Motorradlaerm-Auf-beiden-Ohren-taub-4770818.html
Eine richtige Lösung habe ich zwar auch nicht, aber mit dem Tiroler Modell
kann ich mich durchaus anfreunden
Aber es ist inkonsequent, inkonsistent, uninformiert und höchst idiotisch.
Erklärung:
Zunächst mal gibt es aktuell keinerlei Auflagen in der EU-Homologation und
den daran angeschlossenen Zulassungsbedingungen der StVZO für das
Stand(!)geräusch eines Kraftfahrzeugs. Die Ermittlung des Standgeräusches
wird in die Verantwortung des Herstellers gestellt, der soll das mit dem
(durchaus reglementierten, dazu kommen wir später) Fahr(!)geräusch
korrelieren, damit es auch dem schlecht ausgerüsteten Verkehrspolizisten
möglich ist, aus dem zu hohen Standgeräusch auf eine möglicherweise
manipulierte Abgasanlage zu schließen.
Da manche Hersteller diesen Wert oft sicherheitshalber etwas wohlwollender
beziffern, kommt es zur paradoxen Situation, daß auch im Fahrgeräusch
prinzipiell leise Motorräder vom "Tirol-Verbot" betroffen sind. In jedem
Fall geht das Störpotential natürlich vom Fahrgeräusch aus,
Streckensperrungen auf das in den Fahrzeugdokumenten verbriefte
Standgeräusch zu beziehen, ist also Schwachsinn.
Obendrein hat die Tiroler Landesregierung dafür einen Wert von 95dB(A)
festgelegt. Nur mal so als Realitätscheck: Meine 1998er KTM 620 SC hat
angeblich ein Standgeräusch von 90dB(A) [1], eine 2017er BMW S1000XR sei
bei 98dB(A) @5500U/min angesiedelt, österreichische Fahrer berichten von
94dB(A) für das 2020er Modell und die R1250GS habe 91dB(A). Der Ducati
Streetfighter V4 attestierte man zunächst 97dB(A), korrigierte dann auf
106dB(A). Das glaube ich unbesehen [2].
Für die Standgeräuschmessung gibt es natürlich allerhand Vorschriften [3],
sie sind i. d. R. vor Ort vom Beamten kaum einzuhalten und ergeben
Hausnummern. Diese werden deswegen gerne angefochten und haben - für sich
allein genommen - keinerlei Relevanz. Grund für ein "Fahrverbot"
(behördliche Untersagung des Betriebs) sind sie in keinem Fall geeignet.
Aber - wie wir weiter unten lesen werden - kommt es noch schlimmer.
Unser zahnloser Bundesrat hat in seiner lustigen Entschließung [4]
wenigstens das Problem ansatzweise begriffen: Kraftradhersteller, die die
Wünsche einer - let's face it - *überwiegenden* Zahl von Krachdeppen
bedienen und dabei alle Tricks auffahren, die das elektronische
Sounddesign hergibt: Klappensteuerung, Prüfstandserkennung,
Sport-Plus-Modus für die Rennstrecke, usw.
tl;dnr:
– Max. 80dB(A) über alle Fahrzustände,
– sofortige Beschlagnahme bei Manipulationen,
– Verbot von Sounddesign,
– Förderung von e-Antrieben,
– flächendeckende Kontrolle,
– Ausweitung der Verkehrsverbote,
– Einführung von Frontkennzeichen bzw. Halterhaftung,
– verpflichtendes Fahrtenbuch, auch ohne Auffälligkeit EXKLUSIV für
Motorradfahrer (Zitat Titel: "wirksame Minderung und Kontrolle von
Motorradlärm").
Den Gleichbehandlungsgrundsatz zunächst beiseite und ignoriert, daß in
Sachen Verkehrsgeschehen nach x-beliebiger statistischer Denkart die
Fahrzeugklasse "Motorrad" um mindestens eine Zehnerpotenz weniger relevant
ist, bleiben immer noch bedenkliche Anhaltspunkte für eine erschreckend
geringe Kenntnis des Bundesrats von Zulassungsrichtlinien, Meßvorschriften
und schlußendlich dem Deutschen Grundgesetz – insbesondere den
Eigentumsrechten nach Artikel 14.
Besonders frivol wird die Sache dann, wenn man sich die Lärmreform für die
Serienausrüstung von Automobilen anno 2016 (UNECE-R41 [5] [6]) zu Gemüte
führt. Ausgerechnet dort gibt es ab ab einer Motorleistung von mehr als
272 PS (200 kW) pro Tonne eine Ausnahme, wonach diese Fahrzeuge 4 Dezibel
lauter sein dürfen als andere Autos.
Gemessen wird übrigens eine Vorbeifahrt mit konstanter Geschwindigkeit und
das volle Beschleunigen auf einer 20 Meter langen Teststrecke aus Tempo
50. Hochtouriges Beschleunigen oder hohe Geschwindigkeiten werden in den
Meßvorschriften nicht berücksichtigt. Das darf der Hersteller selbst
nachreichen und treuherzig bescheinigen, daß die Lautstärke im
Geschwindigkeitsbereich von 20 bis 80km/h schon okay ist.
Langer Rede kurzer Sinn: Das ganze Konzept ist schon im Kern so kaputt, daß
es nicht funktionieren kann und stattdessen Mauschelei begünstigt. Vom
Gedanken, es wäre immer nur ein paar "Andere", die mit ihren Moppeds an
den Nerven anderer Verkehrsteilnehmer sägen und "den Vernünftigen"
deswegen Streckensperrungen einbrocken, können wir uns ganz fix
verabschieden. Fakt ist, daß insbesondere Krafträder auf Wunsch einer
überwiegenden Mehrzahl von Kunden im Realbetrieb immer _lauter_ statt
leiser werden - ab Werk. Und es handelt sich da nicht um irgendwelche
hochgezüchteten Sportler oder den gerne bemühten Kuttenträger auf seiner
Harley.
Da sind annähernd alle Volumenmodelle aller Hersteller dabei. Und solange
der Kunde das kauft, geht die Geschichte genau so weiter. Wir kriegen, was
wir verdienen.
[Tiroler Modell] BVDM. Das ist vielleicht nicht realistisch, jedoch
überwach- und ggfs nachrüstbar.
Ist es nicht. Weder realistisch noch überwach- oder nachrüstbar.
Der Krachdepp hat 80dB(A) Stand- und 70dB(A) Fahrgeräusch im Schein und
darf damit vollkommen legal durchs Bergland touren. Er schraubt sich dann
eine Krawallowix-Anlage dran und darf das immer noch, da diese Anlage eine
separate ABE besitzt und sich dadurch an der Zulassungseintragung nichts
ändert. Und um genau und nur diese Zulassungseintragung geht es in Tirol,
nicht real vor Ort gemessene Werte [7]: "Das Fahrverbot gilt für alle
einspurigen Kraftfahrzeuge, die laut Zulassung ein Standgeräusch
(Nahfeldpegel) von mehr als 95 dB (A) aufweisen."
Also Kontrollen, richtig? Der Krachdepp aktiviert nun den Sport-Plus-Modus,
"nur für die Rennstrecke". Nach Klemmenwechsel fehlen wieder 40kW und
Stand- wie Fahrgeräuschmessung gestalten sich unauffällig.
"OK, dann also Lärmblitzer!" höre ich bestimmt gleich jemanden sagen [8].
Wow! Geniestreich! "Es handelt sich um einen intelligenten Sensor, der den
Lärm von Autos, Motorräder und Lastwagen misst. Das Gerät könne den
Straßenlärm von anderen Geräuschen in der Umgebung unterscheiden,
erläutert Bützberger [Verkehrsingenieur bei der Firma Swisstraffic].".
Ich als Physiker finde das technisch gar nicht so leicht hinzukriegen.
Allerdings nicht aus dem Grund, daß man den Lärm nicht einzelnen Fahrzeugen
zuordnen kann (Rechercheempfehlung: "Messsystem zur ortsaufgelösten
Schallfeldmessung", P. Horn et al [9]). Sondern daß es für Bedingungen
abseits einer schalltoten Prüfstrecke und präzise montierter Meßmikrofone
gegenwärtig keinerlei – ich wiederhole: _keinerlei_ praxisrelevante
Auflagen (lies: Anhaltspunkte) für die Lärmemission von Kraftfahrzeugen
innerhalb des Geltungsbereichs der EU-Homologation gibt.
OK, die Schweiz gehört nicht zur EU, darf daher machen, was sie will. Dann
reicht aber raten und die Aussage "hörte sich zu laut an" vollauf. Spart
Steuer- und Forschungsgelder.
Oder will mir der Lärmblitzer evtl. über die Schulter schauen, ob ich
gerade den vorgeschriebenen dritten Gang eingelegt habe, während ich die
beliebte 50km/h-Vollgasbeschleunigung mache? Vielleicht bin ich auch
versehentlich auf den Killschalter gekommen (der bei manchen Krädern in
gefährlicher Nähe zum Blinker liegt) und habe eine mördermäßige Fehlzündung
produziert? 1000€ Geldstrafe, 3 Flens und 1 Monat?
Es mag ehrenwert sein, wenn sich die Schweizer Lärmliga aufpudelt und
80dB(A) als oberes Limit verlangt (warum zur Hölle eigentlich nur für
Sportwagen und Motorräder?). Ungefähr so ehrenwert wie naiv. Wie laut ist
wohl ein VW UP! 1.0 TSI, wenn er im ersten Gang am Drehzahlbegrenzer mit
6500U/min die Meßstrecke passiert?
Aber offenbar eh nur Rascheln im Blätterwald, die Initiativen sind
mittlererweile vom Tisch [10] und wurden durch die windelweiche
Kommissionsmotion 20.4339 ersetzt, wo der Bundesrat Gesetze ausarbeiten
möge, wie man Krachdeppen besser überwacht und sanktioniert. Da können sie
ja den ideologiegleichen EU-Kommissaren in ihrer Ideen- und Hilflosigkeit
gleich die Hand geben.
Widmen wir uns deshalb lieber relevanteren Themen, z. B. dem bevorstehenden
Preis-Schock auf dem Oktoberfest 2022, gegen dessen Stattfinden es lt.
Wiesn-Referent Clemens Baumgärtner (CSU) "kein Argument" gibt [11]. Dank
Ukraine-Konflikt, Russengas und gestiegenen Opportunitätskosten für
Kontrollen, usw. wird die Maß wohl um die 15€ kosten, das halbe Hendl wohl
um die 18-20€.
Höchste Zeit für (frei)staatliche Subventionen und einen Spendenaufruf, wie
ich finde. Der Mensch hat einfach ein natürliches Recht, sich im
schwitzigen Bierzelt zuzusaufen - und nicht nur dort ordentlich
herumzulärmen.
Möglicherweise durchbricht das den Soundwahn.
Nope. Träum weiter.
Volker
[1]
Loading Image...[2] https://www.heise.de/tests/Fluegelchenstuermer-Ducati-Streetfighter-V4-S-Test-4769730.html?seite=2
[3] https://bast.opus.hbz-nrw.de/files/89/F48.pdf
[4] https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2020/0101-0200/125-20(B).pdf?__blob=publicationFile&v=1
[5] https://wiki.unece.org/download/attachments/101553564/ASEP-16-07%20Rev.1%20%28IMMA%29%20R41%20revised%20ASEP%202.0_June2020.docx?api=v2
[6] https://www.motorradonline.de/ratgeber/neue-geraeuschvorschrift-fuer-motorraeder-ab-2016-sound-oder-zumutung/
[7] https://www.tirol.gv.at/verkehr/verkehrsrecht/motorrad-fahrverbot/fragen-antworten/
[8] https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/ein-blitzer-gegen-laerm-suender-im-strassenverkehr,SVsgHlQ
[9] https://www.researchgate.net/publication/274324861_Messsystem_zur_ortsaufgelosten_Schallfeldmessung
[10] https://www.motosuisse.ch/files/Rueckzug_Initiativen_Gabriele_Suter.pdf
[11] https://www.tz.de/muenchen/stadt/ludwigsvorstadt-isarvorstadt-ort43328/schock-oktoberfest-in-muenchen-wiesn-gaesten-droht-der-hendl-preis-91498776.html