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[Film] 972 Breakdowns
(zu alt für eine Antwort)
Ralf Kiefer
2020-09-07 10:48:35 UTC
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Moin!

Eine Filmkritik.

Fünf Kunststudenten beschließen nach Ende ihres Studiums das anzuwenden,
was sie gelernt haben. Sie wollen einen Film drehen. Das Thema fällt auf
Motorradreise. Nur hat von den Beteiligten zu diesem Zeitpunkt fast
keiner Ahnung von Moppeds geschweige denn alle überhaupt einen
Führerschein oder eine Vorstellung vom Individual-Reisen unter
außergewöhnlichen Bedingungen, keine Ahnung von Technik, von Navigation
und einigem mehr. Damit der Film auch ganz sicher ein
Alleinstellungsmerkmal erhält, fahren sie mit 4 Ural-Gespannen, womit
erstens der Filmtitel und zweitens der tägliche Kontakt mit
Einheimischen wg. Technikproblemen und Ersatzteilbedarf gesichert ist.
2,5 Jahre auf Reise sind rund 900 Tage mit 972 Pannen.

Zu einzelnen Aspekten des Films fällt mir zuerst auf, daß es in einer
Gruppe von 5 Menschen (2 Männer, 3 Frauen) während 2,5 Jahren
ausreichend Gelegenheiten für zwischenmenschliche Probleme gibt.
Üblicherweise welche, die eine Fortsetzung einer Reise gefährden.
Thematisiert wird das nur kurz: sie übernachten immer und alle unter
einem Tarp und nicht in mehreren Zelten. Daher müssen sie einmal am Tag
immer wieder zusammenrücken und sich vertragen. Das war's. Sehr wenig.

Sie haben erwartungsgemäß und erwünscht unterwegs die übelsten
technischen Probleme. Kein einziges wird näher dargestellt. Es geht was
kaputt, es wird festgestellt, was es ist, dann wird vielleicht eine
sekundenkurze Schrauberszene gezeigt, dann fährt der Troß wieder. Es
gibt kein Bangen, ob eine Reparatur hält, kein Bangen um das
Durchhaltevermögen, weil sich gerade was auflöst. Es bleibt sehr
oberflächlich. Die Wirklichkeit ist anders.

Sie haben unterwegs Probleme mit der Gesundheit. Eine Situation wird
ausführlich dargestellt: in the Middle-of-Nowhere nähen sie eine tiefe
Wunde mit Bindfaden und Nähnadel zu. Ausführliche Bilder sind
garantiert. Effekthascherei. Die vielen anderen alltäglichen Situationen
werden gar nicht erwähnt.

Sie haben Probleme mit Visa. Diese werden erwähnt, wenn sie den Lauf der
Reise maßgeblich beeinflussen. Aber es gibt keine Hintergründe, keine
Lösungsmöglichkeiten und keine Überlegungen zu alternativen Strategien.
Oberflächlich. Im Normalfall bestimmt so was den Verlauf einer
Langzeitreise erheblich.

Es gibt im Film nur eine unmaßgebliche Erwähnung des Themas
Finanzierung. Wer außerhalb vom Film sucht, findet den Hinweis auf
Crowdfunding. D.h. sie suchten kurz vor Abfahrt vor 5Jahren Spender zur
Produktion eines Films. Im Crowdfunding-Filmchen sind übrigens nur drei
der späteren Mitfahrer vertreten. Die anderen beiden sind wohl
abgesprungen und kurzfristig ersetzt worden.

Fazit: alles sehr oberflächlich, also im Michael-Martin-Stil, nur daß
die 5 ehemaligen Kunststudenten nicht eine heile Welt im Hochglanzformat
zeigen, sondern das andere Ende der Skala. Zuschauer, die nie individual
reisen, mögen sich daran erfreuen, daß sie jetzt mitreden können.
Moppedreisende, die das Versorgungsgebiet des AD/AC selbstorganisiert
verlassen, freuen sich in dem Film vielleicht über ein paar
außergewöhnliche Landschaftsaufnahmen und jeder aus dieser Kategorie
sicher drüber, daß seine Reisen besser organisiert sind. Eigentlich
haben dann alle was von den fast zwei Stunden leichter Unterhaltung :-)

Wenigstens haben sie eine spezielle Art des Humors als Künstler: die
animierten Technikausfälle wie hier im filmischen Appetithäppchen ab
2:03:



Gruß, Ralf
--
Honda, SWM und ein paar KTMs
Alle Greta-kompatibel, denn die fahren im Grünen
olaf
2020-09-07 13:05:03 UTC
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Post by Ralf Kiefer
Fünf Kunststudenten beschließen nach Ende ihres Studiums das anzuwenden,
was sie gelernt haben. Sie wollen einen Film drehen.
Dafuer muss man kein Kunststudent sein. Irgendwie will heute jeder
einen Film drehen, neu ist das jeder aus seinem Urlaub gleich Kohle im
Kino machen will. Stell dir mal vor die ganzen Typen die in den 70ern
nach Indien zur Bewusstseinserweiterung gefahren sind haetten auch
schon ein Handy mit Kamera gehabt.
Post by Ralf Kiefer
Das Thema fällt auf
Motorradreise. Nur hat von den Beteiligten zu diesem Zeitpunkt fast
Nicht so sehr. Auch mir ist es schon aufgefallen das Motorraeder sich
beim Nachwuchs steigender Beliebtheit erfreuen.
Wobei eine Ural mit Beiwagen nur wenig mit Motorrad zutun hat.
Post by Ralf Kiefer
Alleinstellungsmerkmal erhält, fahren sie mit 4 Ural-Gespannen, womit
erstens der Filmtitel und zweitens der tägliche Kontakt mit
Einheimischen wg. Technikproblemen und Ersatzteilbedarf gesichert ist.
2,5 Jahre auf Reise sind rund 900 Tage mit 972 Pannen.
Das klingt eigentlich total absurd und unmoeglich. Allerdings kenne
ich jemanden der so ein Gespann besitzt. Von daher glaube ich das. :-)
Post by Ralf Kiefer
ausreichend Gelegenheiten für zwischenmenschliche Probleme gibt.
Üblicherweise welche, die eine Fortsetzung einer Reise gefährden.
Du meinst es gibt keine Sexszenen?
Post by Ralf Kiefer
Sie haben erwartungsgemäß und erwünscht unterwegs die übelsten
technischen Probleme. Kein einziges wird näher dargestellt. Es geht was
kaputt, es wird festgestellt, was es ist, dann wird vielleicht eine
sekundenkurze Schrauberszene gezeigt, dann fährt der Troß wieder. Es
Was soll da passieren? Sie holen einfach hilfe von der naechsten
Werkstatt und stehen dann daneben und warten darauf das alles wieder
geht.
Post by Ralf Kiefer
gibt kein Bangen, ob eine Reparatur hält, kein Bangen um das
Durchhaltevermögen, weil sich gerade was auflöst. Es bleibt sehr
oberflächlich. Die Wirklichkeit ist anders.
Ja, frueher. Da war alles schlechter. :-D
Post by Ralf Kiefer
Es gibt im Film nur eine unmaßgebliche Erwähnung des Themas
Finanzierung. Wer außerhalb vom Film sucht, findet den Hinweis auf
Kunststudenten? Mama und Papa!

Olaf
Ralf Kiefer
2020-09-07 14:36:20 UTC
Permalink
Post by olaf
Irgendwie will heute jeder
einen Film drehen, neu ist das jeder aus seinem Urlaub gleich Kohle im
Kino machen will.
Mir kam es noch nicht in den Sinn Kohle damit zu verdienen. Und die, die
ich so kenne, die versuchen von Moppedreisen und ihrer Vermarktung zu
leben, haben einen wirklich mühsamen Weg eingeschlagen.
Post by olaf
Stell dir mal vor die ganzen Typen die in den 70ern
nach Indien zur Bewusstseinserweiterung gefahren sind haetten auch
schon ein Handy mit Kamera gehabt.
Damals fotografierten die meisten Leute noch in schwarz-weiß. Diese
Bewußtseinserweiterungen konnte man damit nicht abbilden ;-)
Post by olaf
Du meinst es gibt keine Sexszenen?
Die gibt es tatsächlich nicht. Ich meinte das in dem Sinn, daß je größer
eine Gruppe ist, desto größer sind die Verluste aufgrund von
Gruppendynamik. Der eine will noch eine rauchen, der nächste sucht einen
Baum zum Dranpinkeln, möglicherweise jenseits der Baumgrenze. Einer will
schneller, der andere langsamer, der nächste unbedingt mal in ein Hotel,
der nächste niemals in so was Teures.

Ich hatte vor vielen Jahren über Reisen in Gruppen nachgedacht. Mein
Ergebnis: zu Zweit kann das gut sein, wenn man jemanden hat, auf den man
sich verlassen kann. Bei kritischen Strecken und Gegenden, wie
seinerzeit eine Reise ins Hoggar-Gebirge geplant, war 4 meine korrekte
Anzahl. Also 1, 2 oder 4. Keine andere Anzahl.
Post by olaf
Post by Ralf Kiefer
Sie haben erwartungsgemäß und erwünscht unterwegs die übelsten
technischen Probleme. Kein einziges wird näher dargestellt. Es geht was
kaputt, es wird festgestellt, was es ist, dann wird vielleicht eine
sekundenkurze Schrauberszene gezeigt, dann fährt der Troß wieder. Es
Was soll da passieren? Sie holen einfach hilfe von der naechsten
Werkstatt und stehen dann daneben und warten darauf das alles wieder
geht.
Sie fuhren durch Sibirien. Dort gibt's manchmal ein paar 100km bzw.
Tagesreisen nix. So fuhren sie die alte Road of Bones nach Magadan
(Kolyma Highway). In der englischen Wikipedia sind sie sogar als
Bezwinger der letzten Jahre erwähnt. Dort fuhren sie extrem naiv rein.
Ich habe mir die Strecke daraufhin auf Google Earth angeschaut und
insbesondere die Fotos, die dort hinterlegt sind. Solche gab es vor 5
Jahren sicher auch schon. Das hätte zur Entscheidungsfindung reichen
müssen. Ok, ich kenne zwei, die diese Strecke mit Solomoppeds gefahren
sind. Und ich kenne auch ihre Fotos. Die hätte man fragen können, denn
die sind nicht ganz unbekannt (Das MRT in Gieboldehausen fiel dieses
Jahr erstmalig aus, aber sonst ...).

Alte Aufzeichnungen sprachen von 3Tagen Fahrtzeit, AFAIK für den zweiten
Teil ohne Siedlung für rund 250km. Sie nahmen Proviant für 6Tage mit.
Reserve! ;-) Zum Schluß rationierten sie die letzten Lebensmittel,
ließen 2 Gespanne stehen und fuhren mit 2 weiter, weil das Benzin zur
Neige ging und liefen dann die letzten 15km am Tag 9 zu Fuß und mit
leerem Magen zur "großen Straße". Mit einem LKW ließen sie ihre
Fahrzeuge dort rausholen, weil sie die Flußdurchquerungen nicht mehr
packten.

Ein Filmchen damals von Unterwegs aus hochgeladen:

In diesem Filmchen sieht man übrigens den Einsatz der mitgeführten
Stiehl-Kettensäge.

Schon McGregor und Boorman hatten sich seinerzeit in ihrem Long Way
Round inklusive ihrer 4*4-Begleitfahrzeuge von russischen LKWs dort
rausschleppen lassen. Der letzte Eintrag im Wiki-Artikel erwähnt drei
erfolgreiche Fahrer im Jahr 2018: mit zwei Husqvarna 701 und einer LC4.

Auf ihrer letzten sibirischen Etappe mußten die Ural-Fahrer aufgeben und
sich von einem dort üblichen Kettenfahrzeug zurückbringen lassen.
Satellitentelefon hatten sie dabei, wie man in jener Szene am Rand
erfuhr. Man kann sein Schicksal auch erzwingen.

Vor zwei Jahrzehnten war es in Rumänien noch ähnlich: die Einheimischen
halfen, wo es ging. Die Hilfsbereitschaft ist mittlerweile vorbei und
seit 1.9.2020 ist offroad in Rumänien verboten (Ausnahme: organisierte
Veranstaltungen wie Enduromania). Das waren wohl zu viele.
Post by olaf
Kunststudenten? Mama und Papa!
Das ist eine Option. Dann habe ich wohl was falsch gemacht in meinem
Leben ;-)

Gruß, Ralf
--
Honda, SWM und ein paar KTMs
Alle Greta-kompatibel, denn die fahren im Grünen
olaf
2020-10-04 17:11:25 UTC
Permalink
Ich dachte ich erwaehne mal das ich den Film gerade auch gesehen habe.
Und ich muss sagen das wir den alle ganz gut fanden. Und noch nicht
mal wegen "Motorrad". Er war auch gut geschnitten und hatte eine
brauchbare Kontinuitaet. Das waren nicht nur Amateure die zufaellig
eine Kamera dabei hatten.
Also ich wuerde daher empfehlen mal reinzugehen.

Und die Szene mit dem zunaehen war doch voll harmlos! Da hab ich in
Indien anderes gesehen.


Olaf

Luigi Rotta
2020-09-07 14:17:19 UTC
Permalink
Post by Ralf Kiefer
Fazit: alles sehr oberflächlich, also im Michael-Martin-Stil, nur daß
Also ein ganz normaler Film.

Erwarte nie Schlüssigkeit in einem Spielfilm. Ob das jetzt ein Fiml von
Woody Allen oder von Charlie Chaplin oder Danile Scorsese ist.
--
Gruss

Luigi

"What's considered trashy if you're poor, but classy if you're rich?"

"Getting money from the government."
Mathias Koerber
2020-09-21 09:00:59 UTC
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Ralf Kiefer
2020-09-21 11:34:11 UTC
Permalink
Post by Mathias Koerber
http://youtu.be/NDIrqqdAa4s
Oha! Keine Kunststudenten, sondern Praktiker, die auch mal Fahrtwind um
die Nase haben ;-) Es sieht mir allerdings nicht so aus, wie wenn die
die (alte) Sommerroute der Road of Bones gefahren sind, also die, die
die allergrößten Schwierigkeiten macht.

Gruß, Ralf
--
Honda, SWM und ein paar KTMs
Alle Greta-kompatibel, denn die fahren im Grünen
Mathias Koerber
2020-09-25 04:59:37 UTC
Permalink
Post by Ralf Kiefer
Oha! Keine Kunststudenten, sondern Praktiker, die auch mal Fahrtwind um
die Nase haben ;-) Es sieht mir allerdings nicht so aus, wie wenn die
die (alte) Sommerroute der Road of Bones gefahren sind, also die, die
die allergrößten Schwierigkeiten macht.
Nein, sagt er ja auch an einer Stelle. die was wohl wegen der Regenfälle
noch unpassierbarer
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